Marc Ries

crash

Todes-ästhetische Kreationen in der fotografischen Arbeit von Andrea Emma Essbach

Im Plötzlichen, im Dazwischen von Zufall und Bestimmung, gründen die unerklärlichen Kräfte dieser »anderen« Welt der Unfälle, ihre extravaganten Verformungen, Umgestaltungen und fantastischen Kreationen. Die »großen« Kollisionen, Heterogenesen gleich, vollziehen eine Trennung der Welt fahrender Dinge, der Fahrzeuge, von der Welt zerstörter, den Gebrauchszusammenhängen enthobener Dinge, der Wracks.
Und es scheint der Plötzlichkeit fotografischem Bildwerdens zueigen, dass danach,
nach dem Er- eignis, die ins Fremdhafte, ins beinahe Unheimliche mutierte »Natur« der Materialien und Techniken sich in ihrer erschreckend- oppulenten Mannigfaltigkeit zu zeigen bereit ist. Andrea Emma Essbach verschafft sich in unterschiedlichen Bewegungen fotografischen Zugang zur Welt der Wracks, zu einer Welt nach dem crash, nach dem Ereignis.
Mit ihren Bildern zeigt sich ein, innerhalb der Fabrikation unserer Lebenswelt zumeist unsichtbares und unbenennbares Etwas. Es ist, als ob der crash, also ein für das Automobil endgültiger Zusammenstoß, dessen – vom menschlichen Körper abgezogenen Zuschreibungen – Eleganz und Glätte seiner Außenhaut, dessen Robustheit und Muskulösität seines Motors, dessen schwungvolle Schönheit seiner Form zwar auflöst, aus der kaputten Materialität jedoch etwas herausholt, was bereits in dieser angelegt war, eine andere Form und Schönheit, ein weiterer,

Es ist, als ob die, aus ihren Leistungen herausgerissenen Elemente in ihrem Wrack-Werden zu zeigen sich vornehmen, was sie denn noch alles auszuformen, auszubilden in der Lage sind. zusätzlicher Ausdruck, der sich der dem Material ursprünglich zugeschriebenen Funktion entzieht, aus der Zerstörung augenblicklich aufersteht und den Fotografien eine überraschende ästhetische, eine skulpturale Formkraft verleiht.

Das fotografische Mittel dieser »Dokumentation« einer unvorhersehbaren, unkontrollierbaren Form- genese ist der Ausschnitt. Das, wie es in der Photoshopsprache heißt, »freigestellte« Bild ist ein, seinem ursprünglichen Zusammenhang im Ganzen enthobener Teil, ein Schnitt, der ein Außerhalb vermeidet, sich in die Deformation hinein bewegt, dadurch immer schon mehr zu sehen anbietet, als der große Blick auf ein vermeintlich Ganzes. So werden die Grenzen des Bildes sukzessive zu den Grenzen seines Objekts, will sagen, als Betrachter fragen wir nicht mehr nach einem Off, sondern akzeptieren das dieserart definierte, abgeschlossene Bild als ein solches. Wir denken uns das Auto- mobil nicht mehr hinzu, sondern konzentrieren uns auf die Komposition der Deformation. Das Auto öffnet sich um nunmehr vielfältige, je eigensinnige Kompositionen aus zersprungenem Glas, aufgerissenem, verbogenem Metall, grotesk verstümmelten Einzelteilen, Assemblagen aus »freien«, also aus Funktionszusammenhängen befreiten, »reinen« Materialien. Diese Elemente verwandeln sich aus einem état de chose, einem »Sachverhalt«, zu einem être des choses, einem nicht-funktionalen Sein, einem Leben der Dinge aus sich selbst heraus. Man könnte auch sagen, das Material selbst sei bereits als Un-Fall – also als Negation seiner faktischen und

funktionalen Existenz in der Zerstörung – Bild, pure Form geworden. Alles, was aus den Funktionen herauskippt wird notwendig Bild. Die zweiten, die fotografischen Bilder, der überaus genaue, sensible fotografische Akt Andrea Emma Essbachs, sie fixieren diese Formveränderungen, überführen sie in eine zweite, nunmehr exklusive Sichtbarkeit. In der Serie A102 – W112 haben sich die Auto-Teile soweit in sich selbst zurückgezogen, dass es nun gar kein Außen, keine Referenz mehr gibt, denn die des Bildes selbst. Keine Frage nach der Kollision, keine nach der Orientierung, nach der Schwere der Zerstörung drängt sich auf. Die Aufnahme des Wracks ist nun tatsächlich eine in die Welt des Bildes eingeführte und aus diesem redefinierte Welt geworden. Die Teile sind genuine Form-Elemente. Und so biegen, falten sich die Massen – denn es sind nun freie Massen geworden – in Landschaften hinein, sind also Landschaften, uner- hörte, aberwitzige Materialfelder geworden.

Zudem wird nun eine bild-eigene Technik auf das Objekt angewandt, ein Gitternetz wird aufgetragen. Ein Verfahren also, das in der Renaissance bereits angewandt wurde, um die Mannigfaltigkeit, auch das Unüberschaubare einer bestimmten Wirklichkeit, auf eine zweidimensionale Fläche zeichnerisch zu übertragen, das gleichfalls den Kartographen erlaubte, uneinsehbar große Landmengen, die ganze Erde, systematisch zu erfassen.

Nun erfährt also die nicht geplante Schöpfung, die nach fremden Gesetzen (un)gefügte Wirklichkeit der Wracks in den Bildern eine Art Vermessung, eine paradoxe Analyse ihrer Unverfügbarkeit. Auf diese Weise wird zwar das Bild einer fremdartigen Landschaft gestärkt, zugleich entsteht das Bild einer Vermessung des Todes in seiner ganzen Schönheit.